Bildung

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Bildung ist das, was man nach einer Ausbildung im Kopf hat. IE, 2017

„Bildung ist strukturiertes Wissen mit einer langen Lebensdauer.

Eine kulturelle Ordnung, die plötzlich abgeschafft wird, hinterläßt gespenstige Züge. Als Luther und Melanchthon das Fegefeuer abschafften, wo die verstorbenen Angehörigen nämlich ´weiterlebten´, zwar in einer anderen Welt, ab in der gleichen Zeit wie die lebenden Angehörigen, so daß sie für diese weiterhin erreichbar waren und mit einer Seelenmesse oder einen Ablaß deren Los gelindert werden konnte, wurden die Lebenden von den Toten getrennt. Sie verschwanden im Strom der Vergangenheit und waren auf einmal wirklich tot. Das ließen sich die Toten aber nicht gefallen und erschienen den Lebenden ab sofort als Geister und Gespenster.

Bildung ist eine spezifisch deutsche Idee. In den anderen westeuropäischen Ländern kennt man sie nicht in dieser Form. An den französischen und englischen Höfen bildete sich eine vornehme Verhaltenskultur heraus, die von einer urbanen aristokratischen Gesellschaft getragen wurde. Diese Verhaltenskultur orientierte sich an den Tugenden der Geselligkeit: Manieren, Charme, Witz, Esprit, Unterhaltsamkeit, kosmopolitische Weitläufigkeit. Während sich diese Verhaltenskultur an den westeuropäischen herausbildete, versank Deutschland im 30-jährigen Bauernkrieg und löste sich danach in tausend kleine Provinzen auf. Es gab weder eine Hauptstadt noch eine ´gute´ Gesellschaft, die dem Rest hätte als Vorbild dienen können. Statt dessen übte man sich in Bildung. Volksbildung war die Fortsetzung der protestantischen Frömmigkeit, quasi eine persönliche Heilserwartung, die zur Persönlichkeitskultur der inneren Reinheit wurde – weit erhaben über die Oberflächlichkeit der Geselligkeit. Bildung war / ist an kein spezielles Verhalten gebunden. Als es unter dem Faschismus im Dritten Reich zum Test kam, versagte das gebildete Bürgertum kläglich und vollständig auf der ganzen Linie. 1968 wurde die deutsche Zivilisationsidee der Volksbildung in Westdeutschland endgültig exekutiert. Bildung wurde zu einer negativen Theologie mit Tabus und Verboten: ´Du sollst nach Auschwitz kein Gedicht mehr schreiben!´; ´Du sollst alles, was Freude macht, mit Mißtrauen bedenken!´; ´Du sollst griesgrämig und freudlos sein, denn die Welt ist eine Katastrophe und Du hast Schuld daran!´

Wenn es uns aber gelingt, die protestantische Bildung mit den Tugenden der Geselligkeit zu verbinden, dann können wir den deutschen Sonderweg fortsetzen. Wenn wir die selbstzerstörerischen Halluzinationen des Descart´schen Zweifels ablegen, wenn wir die ideologischen Fieberphantasien des Sozialismus / Kommunismus beiseite lassen, dann verlassen wir den Bannkreis des in Wittenberg studierten, melancholischen Hysterikers und vatermörderischen Komödianten Hamlet, der ständig von den Wiedergängern und Gespenstern seiner Vergangenheit geplagt wird. Dann werden wir Teil der westeuropäischen Erbengemeinschaft und brauchen den Hamlet nicht jedesmal von Neuem aufführen.

Wissen muß sich in der gesellschaftlichen Kommunikation bewähren.“ D Schwanitz in Bildung, 1999 (adapt von IE, 2021)